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OLG Schleswig zum Kfz-Notweg zu gefangenen Grundstücken

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall geht es um ein Streitthema im Nachbarschaftsrecht: Der Kfz-Notweg zu gefangenen Grundstücken. Besonders relevant ist die Reichweite des Notwegerechts und ob eine Duldungspflicht des Nachbarn besteht.  Der Kläger ist Eigentümer eines gefangenen Grundstücks und wollte die bereits vorhandene Zufahrt auf dem Grundstück seines Nachbarn nutzen, um auf sein Grundstück zu gelangen. Der beklagte Nachbar hatte dies zunächst geduldet, dann allerdings eine Blockade errichtet, die eine fußläufige Nutzung ermöglichte, eine Nutzung mit dem Kraftfahrzeug jedoch verhinderte. Der Nachbar verwies den Kläger auf eine alternative Nutzung von Zufahrten der Nachbargrundstücke und begründete dies mit der kürzeren Entfernung zum gefangenen Grundstück. Das OLG Schleswig musste sich im hiesigen Fall mit der Frage befassen, ob vom Notwegerecht auch das Befahren des Notweges mittels eines Kraftfahrzeugs zu dulden ist. Falls dem so sei, musste erörtert werden, ob das Befahren lediglich zwecks Anlieferung erfolgen darf oder auch als Durchfahrt genutzt werden kann, um auf dem gefangenen Grundstück zu parken.

Reichweite des Notwegerechts

Wenn einem Grundstück jede Verbindung zu einem öffentlichen Weg fehlt, dann handelt es sich um ein gefangenes Grundstück. Das Grundstück ist dann von den angrenzenden Grundstücken umgeben bzw. gefangen. Das Notwegerecht ist in der Praxis immer wieder von Relevanz und hat in diesem Fall das OLG Schleswig beschäftigt. In seinem Urteil vom 01.04.2022 – 1 U 71/21 hat das Gericht die Reichweite des  Notwegerechts näher bestimmt. Als Grundlage für seine Entscheidung zieht das Gericht § 917 Abs.1 BGB heran. Sinn und Zweck der Norm ist die Absicherung einer ordnungsgemäßen Nutzung von Grundstücken. Die ordnungsgemäße Nutzung ist anhand eines objektiven Maßstabs im Hinblick auf eine angemessene, wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks zu beurteilen. Kriterien hierfür sind maßgeblich die Benutzungsart und die Größe des Grundstücks. Die persönlichen Bedürfnisse des Eigentümers oder des Nutzungsberechtigten, sowie die Art und Weise der bisherigen Nutzung sind für die Beurteilung unerheblich. Ein Notwegerecht kann auch nachträglich entstehen, wenn sich die Benutzungsart des Grundstücks ändert.

Duldungspflicht des Nachbarn

Der Umfang der Duldungspflicht des Nachbarn richtet sich wie oben beschrieben nach der Erforderlichkeit.  Das OLG hat unter Bezugnahme der vorinstanzlichen Entscheidung anerkannt, dass es dem Eigentümer zumindest möglich sein muss größere Gegenstände oder Produkte des täglichen Lebens anliefern zu können. Einschränkungen in dieser Hinsicht ergeben sich lediglich aus der Natur der Sache, falls die örtlichen Gegebenheiten einer Anlieferung entgegenstehen (unwegsames Gelände oder die baulichen Gegebenheiten vor Ort machen eine Anlieferung unmöglich). Demnach kann der Eigentümer eines gefangenen Grundstücks die Einräumung eines Notwegerechts von seinem Nachbarn verlangen, welches auch ein Fahrrecht mit Kraftfahrzeugen umfasst. Ein lediglich “fußläufiges” Notwegerecht einzuräumen ist, wie im hiesigen Fall, ungenügend. Diese Duldungspflicht umfasst sowohl das Befahren zur Anlieferung als auch zum Parken auf dem gefangenen Grundstück. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung von maximal 5 km/h bei Nutzung des Notweges soll hierbei die Rechtsgüter des in Anspruch genommenen Nachbarn schützen, um Bodenschädigung und Lärmbelästigung zu vermeiden.

Welcher Nachbar kann in Anspruch genommen werden?

Welcher Nachbar zur Duldung des Notwegerechts verpflichtet ist, bestimmt sich nach § 917 Abs. 1 BGB. Laut OLG kommt es nicht ausschließlich auf die Entfernung zum gefangenen Grundstück an. Es ist vielmehr, wie so oft, eine Interessenabwägung zwischen den Parteien vorzunehmen. Diese Abwägung erfolgt unter Berücksichtigung der individuellen Belastungen auf dem jeweiligen Grundstück bzw. für den jeweiligen Nachbarn. Individuelle Belastungen bestimmen sich beispielsweise danach, ob auf den Nachbargrundstücken bereits Zufahrten vorhanden sind oder solche erst geschaffen werden müssten, und ob das Konzept der Wohnanlage eine ordnungsgemäße Benutzung des Grundstücks auch ohne Zufahrt per Kfz vorsieht.

 

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