Seit Beginn der ersten Betriebsuntersagung infolge der Corona Pandemie im Frühjahr 2020 ist zwischen Richtern, Rechtsanwälten und anderen Juristen strittig, ob bzw. in welchem Umfang Gewerbemieter für den Zeitraum eines sogenannten „Lockdowns“ Miete zu zahlen haben, also ob eine Anpassung oder Minderung der Miete für den Gewerbemietvertrag möglich ist.
Diskutiert wurde vorrangig über die Fragen, ob die Betriebsuntersagung eine Minderung der Miete rechtfertigen könnten. Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob die Untersagungen des Betriebs für Dienstleister aus der Gastronomie, dem Hotelgewerbe, dem Bereich der Körperpflege und anderen Betroffenen eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB darstellen könnten.
Die Rechtsprechung aus 2020 fiel höchst unterschiedlich aus. Minderungsansprüche wurden zumeist verneint. Bislang positionierte sich lediglich das Landgericht München zugunsten der Mieter und erkannte die Möglichkeit an, dass die Betriebsuntersagung einen Mangel im Sinne des §§ 536 Abs. 1 S. 1 BGB darstellen können. [zur weiteren Rechtsprechung]
Mit Gesetz vom 17.12.2020 stellte der Gesetzgeber nun klar, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage gesetzlich vermutet wird, wenn vermietete Gewerberäume infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung genutzt werden kann, Art. 240 EGBGB § 7. Gleiches gilt für Pachtverträge.
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Anspruch auf Anpassung bzw. “MINDERUNG” des Mietvertrages
Wenn die Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB gestört ist, so berechtigt dies zur Anpassung des Vertrages.
Die gesetzliche Vermutung hatte insofern zur Folge, dass der Gewerbemieter grundsätzlich die Möglichkeit hat, vom Vermieter die Anpassung des Vertrages, insbesondere also durch Reduzierung bezweifeln Minderung der Miete, zu fordern. Kommt der Vermieter diesem Verlangen nicht nach, so kann der Mieter gemäß des neuen § 44 EGZPO die Anpassung in einem beschleunigten Verfahren verlangen.
Anpassung bzw. “MINDERUNG” auf die Hälfte (Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 2. November 2020)
Wie eine solche Anpassung aussehen kann, zeigt bereits das aktuelle Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 2. November 2020 (12 O 154/20 – Landgericht Mönchengladbach, Aktenzeichen: 12 O 154/20). Die klagende Vermieterin verlangte Mietzinsen für den Zeitraum von April bis September 2020. Im Zeitraum vom 18. März bis 19. April 2020 war der Betrieb der Verkaufsstelle für die Beklagte aufgrund des Erlasses des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalens untersagt. Die Miete für diesen Zeitraum machte sie im Wege des Urkundenprozesses geltend.
Leitsätze:
- In der Zeit eines nicht zuvor in das Vorstellungsbild der Mietvertragsparteien aufgenommenen “Lockdowns” während einer Pandemie, während dessen der Betrieb vollständig untersagt ist (hier: Zeit vom 01.04. bis 19.04.2020), besteht ein Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB in Höhe der Hälfte der Miete.
- Die Herabsetzung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage ist, wenn dieser Umstand feststeht oder unstreitig ist, bereits im Urkundenprozess zu berücksichtigen.
Insbesondere den Einwand der Beklagten, sie sei zur Minderung berechtigt, lehnte das Landgericht ab. Einen Anspruch auf Vertragsanpassung für den Zeitraum vom 18. März bis zum 19. April 2020 erkannte das Landgericht an.
In der vollständigen Untersagung des Betriebs sei eine schwerwiegende, unzumutbare Störung zu sehen. Das Risiko für die Betriebsuntersagung läge in gleichem Maße außerhalb des Risikobereichs von Mieter und Vermieter. Daher sei eine Anpassung auf die Hälfte des Mietzinses angemessen. Diese hälftige Teilung gelte auch für verbrauchsunabhängige Betriebskosten. Allerdings hätte der Mieter jedenfalls die verbrauchsabhängigen Betriebskosten vollständig zu tragen. Schließlich seien die durch die zumindest eingeschränkte Fortsetzung der Geschäftstätigkeit verursacht worden. Dies habe die Vermieterin im Rahmen der jährlichen Betriebskostenabrechnung zu berücksichtigen.
Die Vertragsanpassung sei hier ausnahmsweise möglich, da das Risiko der COVID 19 Pandemie vertraglich nicht geregelt wurde und daher eine Regelungslücke bestünde. Grundlage des Vertrages sei insofern die gemeinsame Vorstellung gewesen, es würde während der Vertragslaufzeit nicht zu einer Pandemie kommen. Diese Umstände hätten sich jedoch schwerwiegend im Sinne des §§ 313 Abs. 1 geändert. Zwar erkennt auch das Landgericht Mönchengladbach an, dass der Mieter regelmäßig das Ertrags- und Verwendungsrisiko der Mietsache trage. Jedoch sei eine Risikoverteilung ausschließlich zulasten des Mieters hinsichtlich hoheitlicher Anordnungen infolge der Corona Pandemie willkürlich. Daher treffe die Betriebsuntersagung in gleichem Maße den Risikobereich von Mieter und Vermieter. Jedenfalls für den Zeitraum vom 1. April bis zum 19. April 2020 bejahte das Landgericht daher eine Unzumutbarkeit im Sinne des §§ 313 BGB. Schließlich konnte die Beklagte hier keinerlei Umsätze verbuchen. Die Umsätze der Vorjahre konnten nicht ansatzweise erreicht werden.
Rückwirkung
Auch bejahte das Landgericht ausnahmsweise eine rückwirkende Anpassung des Vertrages auf den Zeitpunkt des Anpassungsereignisses. Die Frage, ob eine Rückwirkung der Vertragsanpassung zulässig ist, sei stets eine Frage des Einzelfalls. Sie käme insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rückwirkung die benachteiligte Partei besonders stark trifft bzw. diese besonders schutzwürdig ist. Dies erkannte das Landgericht hinsichtlich des klagenden Vermieters nicht. Insofern war es der beklagten Mieterin im Verfahren auch möglich, mit dem Anspruch auf Rückerstattung überzahlter Miete (rückwirkend) aufzurechnen.
Einzelfallabwägung und “FreIwillige” Betriebsschließung
Ob in in welchem Umfang eine zu zahlende Miete herabzusetzen ist, kann jedoch nicht pauschal beantwortet werden. Maßgeblich ist zum einen eine Wertung der Risikoverteilung zwischen Mieter und Vermieter. Zum anderen muss auch stets der Einzelfall betrachtet werden.
So verneinte mit Urteil vom 25. Januar 2021 nun das Landgericht München einen Anspruch auf Vertragsanpassung. für ein Hotel. Im hier vorliegenden Fall verzeichnete das Hotel zwar einen Umsatzrückgang von 77,8 %. Jedoch wurde eine Schließung des Hotels nicht angeordnet. Die Schließung beruhte auf einer unternehmerischen Entscheidung des Inhabers. Auch berücksichtigte das Gericht, dass der Gewerbemiete weiterhin Besitz an der Mietsache hatte und Verbesserung hätte vornehmen können.
Fazit
Vermietern und Mietern ist schnellstmöglich zu raten eine gütliche Einigung über die Miethöhe für die – auch rückwirkenden – Zeiträume der Lockdowns zu treffen. Mieter sind gehalten, für den Fall einer Verhandlungsverweigerung des Vermieters, zeitnah zu klagen.
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